DAVOS - Interview
Austrian Film Commission: Karin Schiefer im Gespräch mit Daniel Hoesl und Julia Niemann
Seine hochwertige Alpenluft machte Davos schon vor 100 Jahren zum noblen Treffpunkt für jene, die nach Heilung für ihre Atemwege suchten. Seit 50 Jahren findet in der Graubündner Kleinstadt jährlich das Weltwirtschaftsforum statt. Diese drei Tage im Januar genügen, um Davos heute weltweit synonym für die wohl dichteste Zusammenkunft von Macht und Geld wahrzunehmen. Angezogen von der Aura, die dieses Weltmeeting umgibt, hat sich der Filmemacher Daniel Hoesl mit einem kleinen Team für ein ganzes Jahr in der Kurstadt eingemietet und diese beobachtet. DAVOS portraitiert Bewohner*innen und ihre kleine Stadt, in der die Globalisierung ihre Abdrücke hinterlassen hat und die ganz anders ist, als man glauben möchte. Ein Gespräch mit Daniel Hoesl und Ko-Regisseurin Julia Niemann.
Das Geld, die Anhäufung von diesem und der Kapitalismus, der die Funktionsweise unserer Gesellschaften bestimmt, beschäftigt Sie seit Soldate Jeannette. Was hat Sie für Ihren dritten Langfilm bewogen, dokumentarisch zu arbeiten?
DANIEL HOESL: Was mich nach Davos gebracht hat, war nicht sein Ruf als Schiort, sondern der Umstand, dass es der Austragungsort des Weltwirtschaftsforums ist. Im Zuge meines ersten Besuchs bei diesem Jahrestreffen der Polit- und Wirtschaftseliten habe ich viele Menschen kennengelernt und bin in einer Stadt gelandet, die dem Bild, das ich von ihr im Kopf hatte, nicht entsprochen hat. Das hat diesen Ort für mich interessant gemacht.
Wie sah Ihr vorgefertigtes Bild von Davos aus?
DANIEL HOESL: Ich kannte nur Schweizer Schiorte im Wallis, die einen gewissen Glamour ausstrahlen, den ich auch mit Davos in Verbindung gebracht hatte. Davos hat andere Qualitäten. Davos ist eine paradigmatische schweizerische Kleinstadt, mit wenig Glamour und einer Bewohnerstruktur, die vom kleinen Mann bis zur Milliardärin reicht.
JULIA NIEMANN: Was Davos ins Spiel gebracht hat, war ein dokumentarisches, recherchierendes Arbeiten, das eigentlich jedem unserer Filmprojekte vorausgeht. Im Sinne von „Follow the Money“ wollten wir dorthin fahren, wo sich das Geld so umschlägt und schauen, was sich dabei ergibt. Weil sich in Davos auf so unglaubliche Weise konzentriert, was Globalisierung bedeutet, nämlich, dass Superreiche und Superarme so nahe nebeneinander existieren, wurde uns bewusst, dass man so eine Konstellation für einen Spielfilm nur schwer erfinden kann und dass wir, wenn es diese Geschichte nun schon gibt, wir sie am besten dokumentarisch aufzeichnen sollten. Da sich darüber hinaus das Weltwirtschaftsforums seinem 50-jährigen Jubiläum näherte, hielten wir das Timing für besonders günstig.
Der Film hat einen sehr simplen Titel – DAVOS, und bezieht sich einerseits auf den geografischen Ort, einen Kurort im Ostschweizer Kanton Graubünden, andererseits ist dieser Ortsname Synonym für das seit 50 Jahren dort stattfindende Weltwirtschaftsforum geworden, hinter dem sich ein Projektionsraum für das Zusammentreffen der Reichen und Mächtigen dieser Welt auftut. Ging es Ihnen einerseits darum diesen Projektionsraum auszuloten? Die Substanz hinter dem Phantasma eines Großereignisses rund um Macht und Geld aufzuspüren? Andererseits auch um das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Identitäten der Stadt?
JULIA NIEMANN: Es geht wirklich darum, dem Phantasma das sich rund um das Weltwirtschaftsforum auftut, die Realität gegenüber zu stellen und diesen Begriff zu klären. Im angloamerikanischen Raum wird „Davos“ in der Tat quasi synonym für das Weltwirtschaftsforum verwendet und mit dieser doppelten Bedeutung wollten wir auch spielen. Wir hatten ja selbst erwartet, dass Davos ein Ort sei, wo sich alles um das WEF dreht und haben dann im Laufe eines Jahres entdecken können, was da alles stattfindet und wie sich aufgrund der Tatsache, dass Davos Gastgeber des Weltwirtschaftsforums ist, sich interessante Kontraste ergeben.
DANIEL HOESL: Mein Interesse hat sich immer weiter vom WEF wegbewegt und die Leute, die in Davos leben – das sind ja wir alle selbst auch immer – in den Vordergrund gerückt. Wir kommen ja, selbst wenn wir in Davos leben, nie mit denen, die über uns regieren, in Kontakt. Die, die über uns regieren, landen einmal im Jahr in Davos. Unabhängig davon, ob wir nun in Davos leben oder nicht. Dieser Kontrast wird sehr deutlich, wenn man das ganze Jahr dort verbringt. Das WEF dauert ja nur drei Tage, aber eigentlich sind wir alle ununterbrochen in Davos. Mit „wir“ meine ich uns Menschen, die wir Lohnarbeit machen, einen Kredit zurückzahlen, bei internationalen Konzernen kaufen … Wir sind ununterbrochen mit den Playern des WEFs in Kontakt, ohne sie jemals zu treffen. Dort wird einem bewusst, dass man das ganze Jahr über nur Zaungast ist. Ich denke z.B. an die Davoser Abfallbewirtschaftung. Sie plant bereits im Sommer die Maßnahmen für den Winter, um für den Abfall in der Stadt gewappnet zu sein, der während des WEF zusätzlich entsteht. Das ganze Jahr über schreiben die Zeitungen, wie eine Zughaltestelle verlegt werden muss, damit der Verkehr an diesen wenigen Tagen bewältigbar ist.
Sie führen uns im Film sehr schnell in ein Davos abseits des WEFs, zu einer Bergbauernfamilie, die wir in sehr archaischen Arbeitserfahrungen beobachten können, zu portugiesischen Saisonarbeitern, minderjährigen Geflüchteten, aber auch zu Monsieur Bernal, der in der Suite eines Luxushotels entspannt große Geschäfte macht. Was abwesend zu sein scheint, ist eine Mittelschicht. Soll dieser Film am Beispiel Davos das Makroabbild einer globalen Entwicklung zeigen, in der es Gewinner und Verlierer gibt?
JULIA NIEMANN: In gewissem Sinne, ja. Wir haben nicht versucht, die Mittelschicht auszublenden. Wir haben vielmehr versucht, bei der Auswahl unserer Protagonisten, das Leben in Davos abzubilden. Was man im Film sieht, ist das Ergebnis unseres Versuchs. Wir zeigen Menschen, die das Leben in der Stadt prägen. Die Bauernfamilie würde ich jetzt dem Mittelstand zuordnen. Dass sie, wie es am Ende des Films zu sehen ist, ihren Hof aufgeben, war nicht vorhersehbar. Wir hatten nach einer paradigmatischen Davoser Familie gesucht. Dass gerade diese Familie im Laufe der Dreharbeiten so in Bedrängnis gerät, war ein Zufall.
DANIEL HOESL: Das sehe ich auch so. Die Bauernfamilie repräsentiert eine komplett durchschnittliche Schweizer Familie, wie man sie im Einkaufszentrum oder am Eisplatz antreffen kann. Wir haben eine Menge anderer Leute kennengelernt und mit ihnen auch gedreht. Die Filmzeit ist aber leider begrenzt und im Schnitt muss man sich für gewisse Dinge entscheiden. Eine große Gruppe Bewohner, oder besser gesagt Geisterbewohner, von Davos sind die Zweiwohnsitzler. Sie machen einen großen Bevölkerungsanteil aus, haben uns aber nie geantwortet. Man trifft sie selten an, sie kommen nur kurz nach Davos, verursachen sehr viel Leerstand. Wir haben nie jemanden kennengelernt. Sie wären ja auch keine richtigen Davoser gewesen.
An wie vielen WEFs haben Sie teilgenommen? Wie sind Sie in der Zeit dazwischen an Ihre Davoser Protagonist*innen herangekommen?
JULIA NIEMANN: Die Grundidee war, dort einen Jahreszyklus mitzuvollziehen. Wir haben eine Wohnung gemietet und zwischen dem WEF 2018 und dem WEF 2019 ein ganzes Jahr dort verbracht. Genau genommen sind wir etwas länger geblieben, weil wir bei einigen Dingen das Gefühl hatten, dass das letzte Wort nach exakt einem Jahr noch nicht gesprochen war. Davos ist kein großer Ort, die Protagonisten sind uns gleichsam zugeflogen. Wir waren als Recherche- und Filmteam, das bewusst das Gespräch gesucht hat, wahrnehmbar, dennoch sind unsere Kontakte auch organisch gewachsen.
DANIEL HOESL: Ich vermisse die Leute dort sehr. Ich habe eine große Sehnsucht und eine Liebe für diese Stadt entwickelt.
Es gibt eine Sequenz im Kirchner Museum, wo bei einer Führung eine Davoser Stadtansicht von Ernst Ludwig Kirchner analysiert wird. Interessant zu entdecken ist, dass Davos in der Architektur immer eine Offenheit zur Modernität vertreten hat. Ein zweites Bild zeigt einen traditionellen Ringkampf, der in zwei widersprüchlichen Perspektiven auf die Leinwand gebannt ist. Aus einer Vogel- und einer Froschperspektive. Wie sehr war dieses Bild auch in kinematografischer Hinsicht für Sie eine Metapher?
DANIEL HOESL: Ernst Ludwig Kirchner war lungenkrank, musste aus Berlin fliehen und hat ab 1917 in Davos gelebt. Er musste sich dort wahrscheinlich einrichten, wie wir uns zur Zeit gerade in unserer Quarantäne einrichten. Wenn man einen Ort oder einen Staat wie die Schweiz nicht so kennt, dann muss man sich zunächst aus der Adler- oder Vogelperspektive annähern, um dann immer tiefer eintauchen zu können. So ist es uns auf alle Fälle ergangen. Irgendwann haben uns die Liftwarte, die Verkäufer im Supermarkt, die Punks oder Leute der jüdischen Gemeinde gekannt. Es war schön, aus dieser Totalen ins Private zu gehen.
Vogel- und eine Froschperspektive in einem Bild vereint, zeugen aber auch von einander widerstrebenden Kräften nach oben und unten.
JULIA NIEMANN: Natürlich. Es gibt eine Stelle im Film, die das am besten zeigt. Das ist der Refugee Run, eine Flüchtlingssimulation, die wir bei unserem ersten WEF gedreht haben. Einer der Redner appelliert an die Besucher*innen des WEFs, dass, bezugnehmend auf die Auswirkungen der Flüchtlingskrise 2015, diese geflüchteten Menschen die Bauern auf ihrem Schachbrett seien. Das war ein entscheidender Satz für uns. Geflüchtete gibt es in Davos auch. Sie leben nur wenige Meter vom WEF entfernt und haben keinen Schimmer davon, was da beim WEF über ihre Köpfe hinweg besprochen wird. Da ist uns klar geworden, dass sich dieses „Von oben“ und „Von unten“ nahezu aufdrängt. Wir haben in zweierlei Hinsicht gearbeitet, uns einerseits in der Vogelperspektive angenähert: Was denkt man, was Davos ist? Und was denken andere, was Davos ist? Was stellt sich dann tatsächlich als Davos heraus? Wir sind selbst vom Vogel zum Frosch geworden. Wir haben aber auch versucht, uns dort auch die Vögel und die Frösche anzusehen.
DANIEL HOESL: Der Begriff Davos, für den Davos international steht, der war für mich nach meinem ersten Besuch 2017 entzaubert. Ich habe mich dann diesem Ort angenähert, ohne dass dieser Begriff für mich wichtig war. Mein Interesse galt den Bewohnern. Das einmal im Jahr stattfindende WEF wurde zur Nebensache. Sobald dieses vorgefasste Bild weg war, fühlte ich mich frei, das Wissen um diesen Ort neu zu füllen und auf meine Weise diesen Ort zu finden.
Das WEF, das diesen Ort in einer internationalen Wahrnehmung repräsentiert, wird offensichtlich (wie man das einer Sequenz entnehmen kann) in regelmäßigen Abständen einer Volksabstimmung unterzogen. Gibt es auch Stimmen in der Bevölkerung, die das Großereignis in Frage stellen?
JULIA NIEMANN: In Wahrheit muss man sagen, dass die Davoser immer dafür abstimmen, weil sie wirtschaftlich enorm davon profitieren. Es gibt eine Promenade im Ort, wo sich das Geschäftsleben abspielt. Diese Geschäfte werden komplett geräumt und anlässlich des WEF einen Monat an das Russian House, an Google oder Facebook vermietet. Davon können sie mitunter ein ganzes Jahr leben. Es gibt vereinzelt kritische Stimmen, aber der finanzielle Vorteil, den das WEF bringt, ist so groß, dass die Leute dafür stimmen, auch wenn es Nachteile für das Leben dort bringt.
DANIEL HOESL: Das kurzzeitige Vermieten ist zu Preisen möglich, die es den Besitzern dort erlauben, die Lokale für den Rest des Jahres leerstehen zu lassen. Das führt dazu, dass dem gesellschaftlichen Leben in der Stadt eine Stütze genommen wird. Es findet kaum Leben auf dieser zentralen Promenade statt. Die Promenade auf der einst Thomas Mann promenierte und wo so viel Kunst passiert ist, ist heute durch Leerstand geprägt. Die Auswirkungen der Globalisierung sind sehr gut spürbar, weil das gesellschaftliche Leben verdrängt wird, die Bauern ebenso. Sie können mit ihrer Milchwirtschaft keinen Milchpreis mehr erzielen, der ihre Existenz sichern könnte. Solche Zusammenhänge werden da auf kleinstem Raum sichtbar.
JULIA NIEMANN: Es gibt auf politischer Ebene schon auch kritische Stimmen, eher von jungen Leuten, u.a. auch den Punks, mit denen wir gefilmt haben. Sie haben aus ihrer politischen Überzeugung heraus ein Problem damit, dass das WEF grundsätzlich stattfindet und darüber hinaus, dass es in Davos stattfindet. Aber auch unter ihnen finden sich manche, die im einen Jahr gegen das WEF demonstrieren und im Jahr darauf für die Security arbeiten, d.h. im weiteren Sinn im Kontext des WEFs ihr Geld verdienen. Das bringt für diese Gemeinde viele Konflikte und für die Kritiker selbst, die über kurz oder lang vor der Frage stehen, ob sie nicht auch von der Situation profitieren sollen, wenn sie ihnen schon unter die Nase gehalten wird.
DANIEL HOESL: Gerade das macht es so nachvollziehbar, warum es so interessant war, diesen Film in Davos zu machen. Dieser Ort bringt das Dilemma so besonders gut auf den Punkt. Wie verhält man sich im Kontext der Globalisierung und des einfachen Lebens?
Der Einstieg in den Film erfolgt über drei Sequenzen, die internationale Korrespondentinnen bei der Arbeit während des WEF zeigt. Man sieht später ein TV Interview mit dem Gründer und Leiter des WEFs Klaus Schwab. Wie sehr ging es Ihnen auch darum, zu zeigen, wie sehr das WEF auch oder vor allem ein mediales Ereignis, ein Hype ist?
JULIA NIEMANN: Vielleicht sind diese Sequenzen auch eine Metapher auf unser Arbeiten. Davos ist zunächst einmal das, was sich alle darunter vorstellen. Im Laufe des Films und im Laufe unserer Arbeit für den Film haben wir immer mehr versucht, herauszuschälen, was sich dahinter verbirgt. Damit spielen wir schon auch ein bisschen. Wenn am Beginn die indische Journalistin mit dem CEO von WIPRO ein Interview führt, da zeigt es sich ein wenig. Sie sprechen über Davos, das WEF, den Kapitalismus, den Markt und in diesem Moment bricht die Stadt Davos mit ihrem Lärm über das Interview herein, dass sie es abbrechen müssen. Dieses Dazwischenfunken der Realität in das, was wir zu finden glaubten, ist auch immer wieder in unserer Arbeit am Film passiert.
DANIEL HOESL: Das WEF ist ein riesiges Medienevent. Wenn man sich vorstellt, dass es nur drei Tage dauert und dabei so eine immense mediale Präsenz weltweit erreicht. Es ist ja auf bizarre Weise sehr beeindruckend, wie sie es hinkriegen, dass das ohnehin Erwartbare immer wieder auf so großes Interesse stößt. Wenn man sich während des WEFs auf der Promenade bewegt, dann kann es sein, dass einem möglicherweise die Königin der Niederlande, der Emir von Bahrein, Angelika Merkel, James Cameron oder Bill Gates über den Weg laufen. Wenn wir von den Medien sprechen, möchte ich aber auch von der Davoser Zeitung sprechen, wo erneut ein Kontrast spürbar wird. Diese Zeitung steht wieder für unser Leben.
JULIA NIEMANN: Bei diesen Sequenzen, wo die Berichterstattung ins Spiel kommt, geht es um Lesbarkeiten und Deutungshoheiten, Interpretationen des Begriffs „Davos“. Da tauchen wieder die Fragen auf, die uns auch bei der Titelsuche beschäftigt haben: Was glauben diejenigen, die für drei Tage kommen, was Davos sei? Und was ist es tatsächlich?
DANIEL HOESL: Ich habe die Davoser Zeitung jede Woche gelesen. Sie ist vielleicht in Wien mit der Bezirkszeitung vergleichbar: Todesanzeigen, Chronik, Inbetriebnahme eines neuen Schilifts, Hoteleröffnung, Sondermüllabholung. Die Redakteure dort halten die Stadt am Leben. Auf dieses Paradoxon hinzudeuten, ist mir viel wichtiger als diese Chimäre vom WEF zu thematisieren. Das WEF hat uns sehr unterstützt. Es war nicht selbstverständlich, dass wir da reindurften. Man ist uns mit einer Offenheit begegnet, die alle bis heute überrascht. Ich wollte es nur ein wenig entzaubern. Das WEF ist eine Art Gartenbaumesse des internationalen Wirtschaftslebens. Jeder hat einen Stand, jeder muss sich marktschreierisch behaupten und es macht die Welt unheimlich klein.
Wie sehr kommt man auf eine inhaltliche Ebene. Man hört von 400 Arbeitsgruppen, gibt es etwas wie ein Arbeitsthema? Oder ist es eher das Treffen einer Blase, die sich darin bestärkt, wie es ein Redner auf den Punkt bringt, „dass der Handel frei bleiben muss und als fair wahrgenommen werden soll“?
DANIEL HOESL: Es gibt schon eine Agenda, sonst hieße es nicht Weltwirtschaftsforum. Es werden hehre Ziele verfolgt, manches gelingt ihnen besser, manches schlechter.
JULIA NIEMANN: Was am WEF schon sehr spannend ist, ist, dass die Spitzen sämtlicher Disziplinen zusammenkommen und diskutieren. Ob es dabei je ums Eingemachte geht, bleibt eine andere Frage. Es gab beim letzten WEF eine Diskussion zum Thema The Cost of Inequality, u.a. mit dem Philosophen Rutger Bregman, der irgendwann meinte, er fühle sich wie auf einer Feuerwehr-Tagung, bei der niemand über Wasser reden dürfe. Das zeigte für mich ganz gut, dass es vielleicht doch eher diplomatisch zugeht und um den heißen Brei herumgeredet wird.
Wenn ich an Szenen denke wie jene mit der Geburt des Kalbes, mit den Jugendlichen Geflüchteten, die gemeinsam rappen oder mit den Erläuterungen im Kirchner Museum, so entsteht der Eindruck, dass Sie Ihren Bildern sehr viel Zeit gegeben haben. Was war Ihr Zugang zur Zeit und zum Rhythmus im filmischen Erzählen bei diesem Projekt?
DANIEL HOESL: Wir hatten einen Schweizer Kameramann, der die Ruhe selbst ist und wir hatten vierzehn Monate in Davos. Dazu noch den Luxus, dass wir dank eines selbstlosen Teams sehr viele Drehtage absolvieren konnten. Als Filmteam bringt man allein durch seine Präsenz schon etwas ins Rollen. Je öfter man kommt, umso unwichtiger wird man und umso eher kommt die Realität zutage. Der Rhythmus des Alltags war es, was wir gesucht haben.
JULIA NIEMANN: Wir haben uns nie etwas gewünscht, uns aber sehr viel Zeit genommen, als Team die Bauernfamilie besucht und haben mit ihnen gegessen. Wir haben mit unseren Protagonist*innen viel Zeit ohne Kamera verbracht und auch wenn die Kamera dabei war, zunächst einmal abgewartet, was passiert. Wir haben in diesem Film auf Zeit gespielt und das sieht man wahrscheinlich auch.
Wie groß kann man sich das Team für so ein langfristiges Projekt vorstellen?
JULIA NIEMANN: Für gewöhnlich waren wir zu viert: Daniel und ich, unser Kameramann Andi Widmer und für den Ton waren entweder Eva Hausberger oder Andreas Pils verantwortlich. Manchmal hatten wir eine Person als Assistenz dabei.
DANIEL HOESL: Es ist ja dort mitunter sehr steil.
Wie hat sich dieses Zeitkonzept in den Schnitt übertragen?
JULIA NIEMANN: Wir haben uns für den Schnitt sehr viel Zeit gelassen und mit Unterbrechungen ein Jahr lang geschnitten. Mehr oder weniger ist alles so an seinen Platz gefallen. Es gab kaum die großen Frustrationen, die im Schnitt sonst immer wieder vorkommen. Die Erfahrung hat sich eher so gestaltet, als müsste man eher ein Jahr lang absitzen und warten, wie sich der Schnitt von selbst ergibt. Es war hin und wieder ein mühsames Absitzen, das uns sehr viel Geduld und das eine oder andere graue Haar abverlangt hat. Am Ende hat es sich so angefühlt, als hätte es nie anders stehen können.
Habt ihr somit einmal mehr nicht zuletzt aufgrund der Rahmenbedingungen ein neue, unkonventionelle Zugangsweise entwickelt und mit wenig Budget und dem Luxus Zeit eine besondere Qualität erreicht?
JULIA NIEMANN: Man muss das Projekt DAVOS in Referenz zu unserem letzten Film setzen. Die Arbeit an WinWin war sehr anstrengend und fordernd. Mit dem zur Verfügung stehenden Budget hat es uns alles abverlangt. Für DAVOS haben wir uns vorgenommen, mehr zu leben als zu arbeiten, im Sinne von dort an diesem Ort zu leben, viel mitzufilmen und beides zu vereinen. Wir können uns schon vorstellen, nochmals dokumentarisch zu arbeiten und nochmals einen Ort unter die Lupe zu nehmen. Es war schlicht wohltuend, sozusagen ein Jahr im Film zu leben, noch dazu in den Schweizer Bergen. Und es war ein ganz anderes, viel tieferes, ruhigeres, kontemplativeres Arbeiten als das rasende Arbeiten an einem Spielfilm. Diese beiden Formen immer wieder abzuwechseln ist eigentlich sehr gut vorstellbar. Bei WinWin standen das Leben und die Arbeit in einem harten Widerspruch zueinander, wir hatten schlicht kein Leben für ein paar Jahre. Dieser Film hat uns in ein Burnout getrieben. Ich will dieses Burnout durchaus wieder spüren. Ich will aber nicht eines nach dem anderen. Dazwischen braucht man auch ein Jahr in Davos oder wo auch immer. Für DAVOS haben wir versucht, das in Einklang zu bringen und es hat funktioniert. Es hat sich so angefühlt, als hätten wir einen Lebensabschnitt in und mit Davos verbracht und der Film ist das Ergebnis. Es war eine sehr schöne Arbeit und eine sehr schöne Zeit.
DANIEL HOESL: Es ist fast eine Liebesgeschichte.